Im Interview: Finanzierung mittels Energiesparcontracting. Die Lösung für energetische Sanierungsprojekte?
27.09.2022
Die Finanzierung von Energiespar- und Energieeffizienzmaßnahmen stellt für viele WEG eine große Herausforderung dar – Dienstleister, die Umsetzung und Finanzierung stemmen, können Abhilfe schaffen. Als langjähriger Experte auf dem Gebiet der Finanzierung von Energieeffizienzmaßnahmen für Mehrfamilienhäuser kennt Nicholas Stancioff – Gründer von Funding for Future – die Herausforderungen rund um das Thema umfassender energetischer Sanierungen bei Wohnungseigentümergemeinschaften. Er spricht über das Energiesparcontracting als eine Lösung zur Steigerung der Energieeffizienz. Ein Gespräch über Erfolgsbeispiele.
Kristina Eisfeld: Herr Stancioff, Sie haben das BEEF-Modell für die Finanzierung von umfassenden Energieeffizienzsanierungen entwickelt. Was ist das BEEF Model und wie hilft es Wohnungseigentümergemeinschaften bei der Finanzierung?
Das BEEF-Modell ist ein Finanzierungsinstrument. Es zeichnet sich dadurch aus, dass umfassende Sanierungen risikoarm durchgeführt werden können. Zudem ist es skalierbar und replizierbar, wodurch es möglich ist, den Gebäudebestand auf den Klimapfad zu bringen.
Das Hauptziel des Modells besteht darin, dEEp-Renovierungen („Deep Energy Efficiency Priority“) großflächig umzusetzen. Gleichzeitig werden die Risiken für Eigentümer verringert. Die Kerninnovation besteht darin, das Leistungsrisiko (also die Umsetzung der Sanierung) vom Zahlungsrisiko (der Zahlungsfähigkeit der WEG-Bewohnenden) zu trennen und gleichzeitig die Erfüllung bestimmter Ziele zu verlangen.
Per Definition müssen im BEEF-Modell Dienstleistungsunternehmen während der gesamten Vertragslaufzeit ihren Kunden die vereinbarten Leistungen (z.B. die Lieferung von Wärme) erbringen. Für die Bewältigung etwaiger Probleme sind die Dienstleister selbst verantwortlich und übernehmen dafür das Risiko. Dadurch belasten sie weder die Eigentümer noch die Darlehensgeber.
Das Zahlungsrisiko, also das Risiko, dass Eigentümer zahlungsunfähig sind, liegt jedoch nicht in der Verantwortung des Dienstleistungsunternehmens. Diese Verantwortung übernimmt BEEF.
Das ist möglich, weil Untersuchungen in Europa und den USA die Zahlungsdisziplin der Eigentümer belegen. Die Erfahrung von LABEEF – der Name des lettischen BEEF – zeigt eine hundertprozentige Zahlungsmoral – 95 % zahlen innerhalb von 30 Tagen.
Kristina Eisfeld: Warum ist es so schwierig, Wohnungseigentümergemeinschaften dazu zu bewegen, eine umfassende Renovierung ihrer Gebäude vorzunehmen?
Die Modernisierung eines Gebäudes ist ein komplizierter Prozess. Es geht um viele technische Fragen und viele Beteiligte, von denen jeder seine eigene Perspektive hat und seine eigenen Interessen verfolgt: Energieexperten, Architekten, Bauunternehmen, Ingenieurbüros, Bauleiter, Banken, politische Entscheidungsträger, Ausführende von Förderprogrammen usw. Was oft fehlt, ist ein erfahrener und motivierter zentraler Koordinator, der im Namen und für die WEG handelt.
Erschwerend kommt hinzu, dass Wohnungseigentümergemeinschaften keine homogenen Gruppen sind und die gemeinsame Entscheidungsfindung dementsprechend herausfordernd ist. Unterschiedliche Perspektiven und Interessen der Eigentümerinnen und Eigentümer sind zu berücksichtigen, andernfalls ist es einfacher, die Dinge so zu belassen, wie sie sind. Notwendig ist, gerade bei großen Investitionsentscheidungen, die Moderation der Willensbildungsprozesse in WEG.
Kristina Eisfeld: Warum haben Sie das BEEF-Modell entwickelt? Welche Herausforderungen werden damit angegangen?
Zunächst etwas Kontext: Mein Herz schlägt für den Naturschutz. Neben einem MBA habe ich Klimawissenschaften studiert. Ich bin von der Dringlichkeit des Handelns überzeugt. Ich habe meine eigenen Häuser renoviert. Als Banker bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung habe ich die Energieverschwendung in der Industrie und in Gebäuden aus erster Hand miterlebt. Ende der 90er Jahre schloss ich mich mit Begeisterung dem neuen Energie-Effizienz-Team der Bank an. Leider verließ ich es nach nur drei Monaten enttäuscht, da ich erkannte, dass weder die Bank noch die potenziellen Kunden von den Möglichkeiten, wie man Energieeffizienz erreichen könnte, überzeugt waren.
Seitdem habe ich mich immer gefragt, wie sich die Energieeffizienz in Gebäuden zu einem echten Geschäft entwickeln könnte. Die riesigen Herausforderungen ließen das lange unmöglich erscheinen. Um die wichtigsten zu nennen:
- Nur wenige verstehen die wahre Bedeutung des Energy-Efficency-First-Principle.
- Noch weniger wissen, wie hoch der Instandhaltungsrückstand im Wohnungswesen ist.
- Fast niemand hat die Kosten, die folgen, wenn nicht saniert wird, für die Gesundheit des Gebäudes und der Bewohner berechnet.
- Die Eigentümer ziehen die kurzfristige der langfristigen Variante vor.
- Bei jeder Renovierung werden die gleichen Fehler wiederholt.
- Infolgedessen zögern die Anwohner, sich für die dEEp-Renovierung zu entscheiden.
- Es gibt Milliarden von Quadratmetern an Mehrfamilienhäusern, die renoviert werden müssen. Das Einsparpotenzial bei Wohngebäuden wird unterschätzt: Die meisten Mehrfamilienhäuser sind 40 bis 70 Jahre alt und könnten bei effizienter Sanierung weit mehr als die von der EU angestrebten 30 % an CO2 einsparen. Energieneutralität ist möglich.
Jeder Aspekt des BEEF-Modells geht auf eine oder mehrere der oben genannten Herausforderungen ein: Überwachte und garantierte Energieeinsparungen zollen dem Energy-Efficiency-First Principle (1). Zudem wird durch die umfassende Sanierung der Instandhaltungsrückstand professionell adressiert sowie das Wohlbefinden und die Gesundheit der Bewohner geschützt, bzw. verbessert. Auch die Herausforderung der langfristigen und damit günstigen Finanzierung wird durch das BEEF-Modell ermöglicht (4). Unternehmen, die das gleiche Modell immer wieder replizieren folgen dabei einer Lernkurve (5). Das BEEF legt den gesamten Prozess dar, mit dem Ziel stets im Blick: Erfolgreiche Projekte bestehen zu 90 % aus der Vorbereitung und zu 10 % aus der Durchführung: Unternehmen können sich auf das konzentrieren, was sie technisch gut können, und die Ergebnisse zur Zufriedenheit der Bewohner überwachen (6). Die Möglichkeiten sind enorm (7).
Kristina Eisfeld: Welche Vorteile bietet BEEF den beteiligten Vertragspartnern?
Die wichtigsten sind Skalierungsvorteile und Kostensenkungen. Die niedrige dEEp-Renovierungsrate macht es dringend erforderlich, die Sanierungsrate und Sanierungstiefe zu erhöhen. Um zu erreichen, dass WEG das BEEF Modell nutzen, müssen die Eigentümer/Bewohner einen klaren Nutzen in der Renovierung sehen.
Die Vorteile liegen jedoch bei allen Parteien. Der erste Vorteil ist eine einfachere und präzisere Art des Umgangs miteinander. Durch eine Plattform stellt jeder Akteur wichtige Informationen standardisiert bereit. Die Plattform verringert die Informationsasymmetrie: Sie ermöglicht es den Eigentümern, über dieselben Informationen zu verfügen, die Finanzierer können sich über Trends informieren und die Unternehmen können ihre Ergebnisse nachweisen. Sie wird unabhängig von einer NGO betrieben und bietet Vertrauen in die Qualität der Informationen.
Unser standardisiertes Verfahren wird auch die Zeit für die Entscheidungsfindung in der Anfangsphase verkürzen: Es senkt die Transaktionskosten und erhöht die Zahl der positiven Entscheidungen. In Lettland bewarben sich nach anfänglich 2 Gebäuden in drei Jahren; über 17 in den darauffolgenden zwei Jahren in derselben Nachbarschaft.
Kristina Eisfeld: Können Sie Einblick in konkrete Beispiele in Lettland geben?
LABEEF kann als umfassender Pilotversuch betrachtet werden, bei dem alle Aspekte des Finanzierungsinstruments getestet wurden:
- die Analyse der technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekte,
- die Strukturierung der rechtlichen Aspekte des Instruments,
- Beschaffung der erforderlichen Finanzmittel,
- den Ankauf von Forderungen,
- Verwaltung des Fonds,
- und das Schließen der Fonds.
Außerdem hat der Versuch bereits einige Nachahmer in Europa gefunden, unter anderem in Polen. NFOS – der Umwelt- und Abwasserfonds der polnischen Regierung hat ein Schwerpunktprogramm – EPC PLUS – aufgelegt. Die Slowakei und Rumänien bereiten ebenfalls Versionen vor.
Die DG Regio und die Europäische Investitionsbank empfehlen es inzwischen als Modell für politische Entscheidungsträger. [siehe hier: https://www.fi-compass.eu/content/innovative-forms-integrated-building-renovation-services]
Kristina Eisfeld: Welche Rahmenbedingungen sind erforderlich, damit das Modell umgesetzt werden kann?
Vor jedem Projekt und vor der Beantragung einer Finanzierung müssen die BEEF-Richtlinien mit den örtlichen Gesetzen übereinstimmen und die technischen Ziele für Sicherheit, Gesundheit und Komfort festgelegt werden.
Dank bestehender Studien und unserer eigenen Untersuchungen in Österreich, der Slowakei und Polen kommen wir zu dem Schluss, dass in Deutschland kein großer rechtlicher Aufwand erforderlich ist, um den BEEF-Rahmen zu entwickeln und die Regeln und Anforderungen der Wohnungseigentümergesellschaften zu erfüllen: Quoten, Abstimmungen, Rechnungsstellung usw.
Unsere Partner bei GREEN Home wären die idealen Partner, um das Instrument vom Konzept zur Realität zu machen.
Kristina Eisfeld: Wie könnte das BEEF-Modell auf Deutschland übertragen und hier angewendet werden? Sind dafür besondere Kenntnisse erforderlich?
Es sind keine besonderen Kenntnisse erforderlich.
Die BEEF-Leitlinien regeln die vertraglichen Abläufe bei einer dEEp-Renovierung. Das Instrument legt vor der Planung des Projekts die Verantwortlichkeiten jeder Partei fest und beschreibt, was geschehen wird. Darüber hinaus werden Dokumentationen und Verfahren vor und nach der Vertragslaufzeit bereitgestellt.
Mit anderen Worten: Die im Rahmen des Dienstleistungsvertrags zu erreichenden Ziele sind im Voraus festgelegt und nicht verhandelbar. Die internationalen Protokolle für die Überprüfung sind eindeutig, denn alle Schritte sind standardisiert, und es gibt Vertragsvorlagen. Außerdem sind diese Informationen öffentlich zugänglich, sodass die Dienstleistungsunternehmen ihre Risiken kennen und die Wohnungsbaugesellschaften Vertrauen in die Vereinbarung haben.
Kristina Eisfeld: Können Energiedienstleister (EDL) aus Ihrer Sicht dazu beitragen, die Renovierungsrate in Gebäuden von Wohnungseigentümergemeinschaften zu erhöhen?
EDL verfügen über umfangreiche Erfahrungen mit einer systematischen und strukturierten Arbeitsweise. Sie sind für die von ihnen erzielten Einsparungen rechenschaftspflichtig.
Allerdings zögern sie derzeit, ihr Geschäftsmodell zu ändern, da es sich auf technische Lösungen konzentriert, die die Unternehmen selber erbringen können, und die Komplexität einer dEEp-Renovierung vermeidet – das ist rentabler. Außerdem vermeiden EDL es, Schwierigkeiten beim Abschluss von Geschäften mit Wohnungseigentümern zu bekommen, die kostspielig sein können und schließen daher die meisten Verträge mit Behörden oder Industriekunden ab.
Wir behaupten, dass die Dienstleistungen, die im BEEf-Modell enthalten sind und als EPC+ bezeichnet werden (eine vollständige Sanierung inkl. Dienstleistungen für die Wartung und Instandsetzung in den nächsten 30 Jahre) aufgrund der Replikation und des Umfangs langfristig eine kostengünstigere und rentablere Lösung darstellt.
Deshalb spreche ich in den vorhergehenden Fragen auch nicht von EDL, sondern von Dienstleistungsunternehmen. Kleine und mittlere Unternehmen könnten in diesen Markt eintreten, das BEEF-Modell schafft ein strukturiertes Umfeld. Ihr technisches Können und ihre Projektmanagementfähigkeiten wären ihre wesentliche Voraussetzung. Sie bräuchten kein großes Unternehmen, das ihnen das gesamte zusätzlich benötigte Know-how, vor allem in finanzieller und rechtlicher Hinsicht, zur Verfügung stellt – ein natürliches Hindernis für den heutigen Markteintritt.
Kristina Eisfeld: Wie werden energetische Sanierungen in der EU aussehen? Haben Sie Empfehlungen für Marktakteure aus den Bereichen Finanzierung, Gebäudemanagement und Energiedienstleister?
Die Zukunft ist jetzt. Die Europäische Kommission gibt an, dass Europa eine Renovierungsrate von 1 % hat. Diese Rate ist jedoch irreführend, da die tiefgreifenden Renovierungen weniger als 0,25 % pro Jahr betragen.
Wir brauchen Sanierungsraten von mindestens 3 %. Wir müssen über tiefgreifende Nachrüstungen sprechen, die aus Energieeffizienz-Einsparungen mit Amortisationszeiten von 25-30 Jahren finanziert werden. Ein nachvollziehbares Paket langfristiger Vorschriften würde die wichtigsten Herausforderungen und Hindernisse beseitigen.
Die politischen Empfehlungen sind wichtig, aber wir müssen negative Verhaltensmuster überwinden.
Wir brauchen ein paar Vorreiter, die diesen Wandel in Gang setzen. Auf diese Weise kann ich mir ein klimaneutrales, klimaresistentes europäisches Wohnungswesen vorstellen.
Kristina Eisfeld: Welche Rolle spielt Funding for Future im BEEF-Konzept?
Die Mission von Funding for Future ist es, der Klimakrise zu begegnen: CO2-Reduzierung und das soziale Problem: Wohnungsmangel. Das eine fügt sich nahtlos in das andere ein. Daher möchte ich mit dem BEEF-Konzept eine praktikable Lösung schaffen, die Wohnungseigentümergemeinschaften dabei unterstützt, einfacher energetisch zu sanieren.
Außerdem möchte ich dazu lernen, meine Erfahrungen mit anderen Projekten teilen und dafür Sorge tragen, dass das BEEF Modell auch in noch mehr Ländern repliziert wird. Deshalb sind wir Teil des GREEN-Home-Teams.